Ein Mosaik aus hundert Farben 

Auf der Bühne der Domfestspiele Verden ist jeder einzelne Darsteller wichtig. Richtig bunt wird das Stück erst durch die vielen Männer und Frauen aus dem Volk. 

Von Susanne Ehrlich

VWenn neun Monate vor der Premiere das Casting für die Domfestspiele läuft, wird kein Superstar gesucht. Hier gibt es für alle einen Platz, die vom Theaterspielen begeistert sind und Lust haben, gemein­sam eine ganz große Sache auf die Beine zu stellen. Für Regisseur Hans König ist jeder Einzelne auf der Bühne wichtig, denn sein Stück "Die rebellische Hexe" setzt sich wie ein Mosaik aus hundert einzelnen Farben zusammen, und da darf keine fehlen.

Und richtig bunt wird das Ganze erst durch die vielen Frauen und Männer aus dem Volk. In ihren Kostümen und Ac­cessoires, in ihren Berufen und Bräu­chen, vor allem aber in ihren standesge­mäßen Interaktionen wird Verdens Ver­gangenheit lebendig. Marion Stolze (68) aus Otersen und die Verdenerin Monika Moje (75) sind zwei "Frauen aus dem Volk", arme Fisch­händlerinnen aus der Süderstadt. Für Moje ist die "Rebellische Hexe" das vierte Stück, Stolze ist be­reits seit dem ersten Aufruf im Jahr 1997 da­bei. Sie erinnert sich: "Am Anfang war alles noch völlig unorganisiert, wenn Proben angesetzt waren, dann mussten alle da sein, und wir saßen manchmal bis spät abends einfach nur rum." Doch auch heute noch müsse man sehr viel Zeit mitbringen: "Man kann sa­gen, dass man sich den ganzen Sommer freihalten muss."

Es geht nicht ums Rampenlicht

Marion Stolze hat in all den Jahren im­mer wieder dieselbe Erfahrung gemacht: "Mit der Zeit wächst man in den Proben zu einer großen Familie zusammen". Dieses Gefühl möchte auch ihre Freun­din nicht missen: "Man wird ganz unru­hig, wenn man weiß, es geht wieder los. Und wenn die letzte Vorstellung vorbei ist, dann fehlt einem richtig was, und man denkt schon wieder an das nächste Mal." Dabei geht es den beiden überhaupt nicht darum, im Rampenlicht zu sein. "Es gefällt uns einfach gut, in diese ge­heimnisvolle Theaterwelt reinzuschnup­pern," sagt Stolze, und Moje ergänzt: "Es geht uns vor allem um die Gemein­schaft mit den anderen".  

Deshalb treffen sich die beiden seit vie­len Jahren einmal monatlich mit einer Gruppe anderer Domis zu einem Kaffee-Stammtisch. "Da wird über alte und neue Zeiten geklönt, es werden Erinnerungen ausgetauscht und auch viel Privates be­sprochen." Da gibt es jedes Mal viel zu lachen. Monika Moje erzählt eine tieri­sche Lieblingserinnerung: "Eine Dar­stellerin hatte bei den Proben immer ih­ren Hund dabei. Und ein paarmal musste sie ihn auch zu den Vorstellungen mit­bringen. Bei einer Aufführung muss sich das Tier irgendwie losgerissen haben, es rannte auf die Bühne und suchte kläffend nach seinem Frauchen." Der Hund sei aufgeregt hin und her gelaufen, während Christiane Artisi gerade ein Solo gesun­gen habe. "Alle haben so getan, als ob nichts wäre, und Frau Artisi hat unbeirrt weitergesungen. Aber wir konnten uns vor lauter Lachen kaum auf den Beinen halten und mussten doch ganz ernst sein."

Und überhaupt der Gesang. "Im Stück 'Der steinerne Mann' war ich eine der Nonnen, und wir mussten gregorianische Ge­sänge einstudieren. Das war nicht ganz ohne, und Christiane Artisi, die Leiterin, hört wirklich je­den falschen Ton", erinnert sich Ma­rion Stolze. "Aber sie motiviert einen auch", ergänzt Monika Moje. "Als wir dieses Jahr zum ersten Mal mit ihr ge­sungen haben, hat sie uns gleich gelobt: Einige von Ihnen singen ja schon ganz richtig." Das Singen ist für beide fast die größte Herausforderung. "Aber wir üben das so lange, bis es wirklich jeder kann", erzählt Stolze.

Begeistert vom Regisseur

Ganz begeistert sind beide Frauen von ihrem Regisseur. "Er kann so gut mit Menschen umgehen", sagt Moje. "Er ist immer geduldig und kann so gut erklä­ren." Er nehme sich Zeit und mache viele Dinge sogar vor, damit alle wüssten, wie er es meine. "Oft erzählt er sogar eine kleine Geschichte dazu." 

Dass das Stück ein schlimmes Kapitel der Stadtgeschichte aufschlägt, ist bei­den bewusst: "Dass die Stiefmutter das Mädchen selbst anzeigt – unvorstellbar! Aber wir müssen rüberbringen, dass wir wollen, dass die Hexe getötet wird." Monika Moje will sich da nicht hinein­steigern: "Das kann man von sich weg­schieben, es ist ja nur Theater. Aber ko­misch ist das schon." Für Marion Stolze ist die Handlung durchaus aktuell: "Das kann man so auf die heutige Zeit über­tragen – auch wenn heute niemand mehr verbrannt wird."

Freude auf die heiße Phase

Beide freuen sich jetzt schon riesig auf die "heiße Phase", wenn auf dem Platz geprobt wird. "Wir kommen dann immer schon eher, erstens, damit wir noch klö­nen und zusammen Kaffee trinken kön­nen, und zweitens, damit wir genug Zeit fürs Ankleiden haben", erzählt Stolze. Über ihre Kostüme freuen sich die bei­den jetzt schon. "Wenn ich mein Kleid anhabe, bin ich gleich eine an­dere, dann bewege ich mich auch ganz anders", findet Moje. "Ja, dann ist man in der Rolle drin", meint auch Stolze.

Beide freuen sich riesig auf den Som­mer. "Hoffentlich ist das Wetter schön", wünscht sich Monika Moje. "Allerdings hat es bei Regen mit den Umhängen auch irgendwie Spaß ge­macht", erinnert sich Marion Stolze, "da haben wir sogar den meisten Beifall ge­kriegt." Und das sei schließlich ihr Lohn und ihre Gage, sind sich die Freundinnen einig.


Zur Sache

Die Domfestspielsaison dauert vom 29. Juli (Premiere) bis zum 13. August. Das Stück trägt den Titel "Die rebellische Hexe". Gespielt wird auf der großen Freilichtbühne hinter dem Dom. Der Vorverkauf hat begonnen.


WESER KURIER / VERDEN, 13.06.22