Man schreibt das Jahr 1996. Björn Emigholz, damals noch Stadtarchivar und Leiter des historischen Museums, hat in den sechs Jahren seiner Amtszeit in Verden die Erfahrung gemacht, dass die Beschäftigung mit Kulturgeschichte und Volkskunde nicht gerade Platz eins der beliebtesten Freizeitaktivitäten einnimmt. Er sucht deshalb nach einer Möglichkeit, Geschichte populärer zu erzählen. Da läuft ihm der Autor und Schauspieler Dieter Jorschik über den Weg, der gerade erst in den Landkreis Verden gezogen ist. Ein historisches Spektakel möchte er inszenieren, hat dies bereits bei den Freilichtspielen in Jever getan und dafür mehrere Stücke geschrieben. Eine Idee wird geboren, jede Menge Theater- und Geschichtsbegeisterung stehen Pate, weitere Mitstreiter werden ins Boot geholt. "Und ruckzuck war der Verein gegründet", erinnert sich Emigholz.
Expo gab den Ausschlag
Eine besondere Rolle habe dabei auch Wolfgang Reichelt, langjähriger Präsident des Unternehmensverbandes Rotenburg-Verden, gespielt. "Er hatte ein unglaubliches Händchen dafür, Sponsoren aus der Wirtschaft zu finden. Ein weiterer begeisterter und tatkräftiger Unterstützer war Gerhard Teichmann, seinerzeit Hauptstellenleiter und gleichzeitig Vorsitzender des Kaufmännischen Vereins. Sie haben die Verwirklichung unseres Projekts eigentlich erst möglich gemacht." Auch traf es sich, dass Hannover Expo-Stadt wurde und der Einzugsbereich der Projekte bis nach Verden reichte. Von der Landeshauptstadt sei die Bitte gekommen: "Stellt mal was Ordentliches auf die Beine!"
Zwei Jahre später ist es dann so weit: "Das Geheimnis des Bischofs von Verden" wird vor der majestätischen Domkulisse gelüftet. Autor und Regisseur des mittelalterlichen Spektakels ist Dieter Jorschik, beratend und historische Fäden verknüpfend steht ihm Emigholz als damals noch kein bisschen graue Eminenz zur Seite. Der "Probelauf" für die Aufführung zur Weltausstellung wird ein Riesenerfolg, die Hundertschaft Mitwirkender vor und hinter der Bühne ist ebenso begeistert wie das Publikum, die Domfestspiele sind Stadtgespräch. Im Jahr 2000 feiert das Stück dann neue, diesmal weit überregionale Erfolge. Damit soll die Sache, als einmalige Angelegenheit geplant, eigentlich erledigt sein. "Doch die Leute wollten mehr", erinnert sich der Mann der ersten Stunde. "So wurden die Domfestspiele zur Institution. Viele, die mittlerweile in Ehren ergraut sind, waren von Anfang an dabei."
Wichtiger Impuls-Geber
In den Folgejahren gab es mit "Liebesleid und Mauerstreit" und "Der Raub des Domschatzes" wechselnde Regisseure. Björn Emigholz blieb als wichtiger Impuls-Geber und "historisches Korrektiv" ein Fixpunkt der Projekte. Auch seit Hans König im Jahr 2011 mit dem Stück "Der steinerne Mann" erstmals das Zepter übernahm, blieb Emigholz weiterhin wichtige Instanz für alle Fragen stilistischer und historischer Einordnung. "Ist das stimmig so?" wird er immer wieder gefragt. "Aber es gefällt mir gut, dass ich mir das Ganze jetzt in Ruhe von außen anschauen kann."
Emigholz ist mit einer Opern- und Theateraffinität aufgewachsen. "Mein Vater wollte Opernsänger werden. Leider hat der Krieg diesen Traum zerstört." Der Sohn hat die Leidenschaft geerbt und auch als Hausherr des Domherrenhauses immer wieder die Schar der "Museumsgeister" eingeladen.
Respekt vor dem Autor
Vor Autor und Regisseur Hans König hat er einen gewaltigen Respekt. "Das ist eine Wahnsinnsaufgabe: Er muss ein Geschehen aus der Vergangenheit, wo niemand von uns dabei war, in die Gegenwart transponieren. Er muss Ereignisse, die sich über Jahre oder Jahrzehnte ereignet haben, so komprimieren, dass sie in ein paar Stunden erzählt werden können und das Prozesshafte des Geschehens sichtbar bleibt. Und schließlich muss er zwischen den Zeilen einen Gegenwartsbezug herstellen, in dem deutlich wird, dass Geschichte immer wieder bestimmten Mustern folgt."
Beim neuen Stück, in dem es um Hexenverfolgung geht, liegt der Gegenwartsbezug auf der Hand. "Das Ausgrenzen einer bestimmten Personengruppe gibt es schon in der Bibel. Die massenpsychologischen Prozesse sind eigentlich immer dieselben." Das Stück spielt im 17. Jahrhundert zur Zeit einer drohenden Krise. "In solchen Zeiten sind immer Spökenkieker und Seelenfänger unterwegs – damals auf dem Marktplatz und heute in den sozialen Medien."
Stück entwickelt sich weiter
Während des Aufbaus der Szenen kommen immer neue Impulse, sowohl von der Regie als auch von den Darstellern. "Das ist der Spaß, wenn man da mitmacht: Das Stück ist nie fertig, es entwickelt sich immer weiter als ein dynamischer Prozess." In "Die rebellische Hexe" ist Emigholz der Bürgermeister Ordunus. "Der hat so eine Art Mittlerrolle, findet es zwar nicht gut, was da passiert, hat aber auch nicht die Kraft, sich dagegenzustemmen. Er möchte am liebsten, dass alles immer ganz ruhig bleibt." Emigholz selbst mag im wirklichen Leben so ein Mensch nicht sein: "Ich möchte immer meinen Standpunkt sagen dürfen."
Seit Herbst 2021 ist Emigholz im Ruhestand, doch neben den Domfestspielen gibt es noch viele Dinge für ihn zu tun. Zum Beispiel besitzt er den dritten Dan im Karate und gibt sein Können an den Verdener Nachwuchs weiter. "Ich nehme nicht mehr an Wettkämpfen teil, aber umso mehr beschäftige ich mich jetzt mit den Grundlagen." Die waffenlose Kampfkunst der asiatischen Völker ist für ihn so etwas wie eine Ethnologie. Es geht dabei immer um die innere Kraft, sich einem Gegner zu stellen, eine Herausforderung anzunehmen. "Das ist sehr bereichernd, und ich werde bis ans Ende meines Lebens damit weiter machen."